📅 2022-03-15 / 📝 2025-02-19 / 📖 MUAI / ⏱️ 8 Min.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Unnötig für Pahuyuth: Der Ram Muai ist für Selbstverteidigung und Nahkampf irrelevant und wird daher nicht mehr unterrichtet.
- Evolution statt Tradition: Nur nützliche Techniken werden im Pahuyuth weitergegeben; der Fokus liegt auf Zweckmäßigkeit, nicht auf Folklore.
- Kein authentischer Ursprung: Der Ram Muai ist historisch kein Teil der ursprünglichen Pahuyuth-Tradition und daher entbehrlich.
Inhaltsverzeichnis
Beitragsdetails
Titel: Der RAM MUAI und warum wir ihn nicht mehr unterrichten
Autor: Pahuyuth
Kategorien: MUAI
Schlagwörter: Kampfkunst, Kriegsführung, Muay Thai, Pahuyuth, Ram Muai, Ritual, Saiyasart, Schwerttanz, Tradition, Wai Khru
Der Ram Muai und warum wir ihn nicht mehr unterrichten
Es gibt zwei Arten von Kampfkünsten: Die einen bewahren ehrfürchtig die Asche ihrer Ahnen, die anderen entwickeln sich ständig weiter. Pahuyuth gehört zur zweiten Kategorie – und das hat bei uns Tradition. Seit mehr als 4000 Jahren stellen wir uns neuen Herausforderungen und passen uns unaufhörlich an. Der sogenannte Ram Muai war lange Zeit Teil des Ausbildungsprogramms der Pahuyuth-Disziplin MUAI, wurde jedoch 2018 aus dem offiziellen Lehrplan gestrichen. Doch warum war dies nötig, und was steckt hinter diesem Ritual?
Ram Muai / Ram Muay – Was ist das?
Wer einen Muay Veti (Muay Thai) Kampf gesehen hat, kennt den rituellen „Tanz“, den Kämpfer vor Kampfbeginn zu spezieller Musik aufführen. Dieses als „Wai Khru Ram Muay“ (Gruß-Lehrer-Tanz-Muay) bezeichnete Ritual ist ein Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit gegenüber verschiedenen Persönlichkeiten. Ein Verzicht darauf wäre eine schwere Beleidigung.
Anhand des Ram Muay können erfahrene Beobachter Rückschlüsse über die Herkunft, den Kampfstil und die individuellen Fähigkeiten eines Kämpfers ziehen. Dies hat eine besondere Relevanz für das Wettgeschäft, weil schon auf dieser Basis Wetten platziert werden können.. Früher durften Kämpfer, die sich ihrem Gegner unterlegen fühlten, basierend auf dem Ram Muay den Kampf ohne Gesichtsverlust abbrechen. Im modernen Kickboxen ist dieses Ritual häufig durch das Regelwerk untersagt.
Die Ursprünge dieses Rituals
Bereits zu Zeiten der Glieh-Stämme war es Brauch, vor einer Schlacht oder einem Feldzug mit einem rituellen Tanz Abschied von Leben und Weggefährten – darunter Schöpfer, Eltern, Lehrer, Freunde und Verwandte – zu nehmen. Auf Basis des Saiyasart-Wissens rief man dabei auch die Ahnen und gefallene Krieger um Unterstützung an.
Da zu jener Zeit noch kein MUAI oder Muay Veti (Muay Thai) existierte, ist anzunehmen, dass die ersten dieser Tänze von Pahuyuth-Waffenkämpfern, wie DAB-Schwertkämpfern, ausgeführt wurden. Einige Formen des Ram Dab (Schwerttanz) fanden später sogar bei Hinrichtungen Anwendung: Der Verurteilte kniete mit dem Kopf auf einem Holzblock oder war sitzend an einen Pfahl gebunden, und ein erfahrener Schwertkämpfer führte einen Tanz auf, dessen finale Bewegung die Enthauptung des Verurteilten vollzog.
Mit der Entwicklung des MUAI um etwa 900 n. Chr. entstand der Brauch, vor jedem Kampf einen solchen Tanz aufzuführen. Später entwickelte Kampfkünste, wie Krabi Krabong und Muay Veti (Muay Thai), übernahmen diese Tradition und interpretierten sie auf ihre Weise.
Durch die Einbindung des MUAI in das umfassende Pahuyuth-Wissen wurden traditionelle Ram Muai-Choreografien bewahrt und in den MUAI-Lehrplan aufgenommen, wo sie über Generationen hinweg weitergegeben wurden.
Beispiel: Der Engelstanz (Ram Theb Pranomm)
Es gibt verschiedene Ram Muai Varianten. Einer der ältesten überlieferten Ram Muai ist der sogenannte „Engelstanz“ (Ram Theb Pranomm):
Der Kämpfer beginnt diesen Tanz im Sitzen nach dem Vorbild des göttlichen Thep (Engel), der den Gott mit den vier Gesichtern ehrt (Pra Prohm). Aus den Bewegungen dieses Tanzes kann die Beherrschung der vier körpereigenen Waffenelemente (Faut, Fuß, Ellenbogen und Knie) herausgelesen werden.
Die Bewegungen in dieser Choreographie offenbaren die Beherrschung der einzelnen Techniken durch die Kämpfer und seine Standfestigkeit.
Weitere Ram Muai Formen:
- „Tanz des Affengottes, der den Ring übergibt“ (Ram Hanuman Tawaii Waen)
- „Tanz des meditierenden Predigers“ (Ram Ruesi Jam Sin)
- „Tanz der Wanderung des Gottes Naray im Dschungel“ (Ram Naray Doen Dong)
- „Tanz des Affengottes über den Berg“ (Ram Hanuman Kam Kau), auch bekannt als „Tanz vom Priesterberg“ (Ram Doy Ruesi)
- „Tanz der jungen Göttin“ (Ram Tehb Tida), auch bekannt als „Tanz der schüchternen Jungfrau“
- „Tanz des alten Lehrers“ (Ram Kru Tau), auch bekannt als „Tanz des Jägers, der das Reh jagt“ (Ram Nay Plan Lahh Gwang)
Oben genannte Ram Muai Choreographien gehören seit 2018 (n.Chr.) nicht mehr zum offiziellen Lehrplan der Disziplin MUAI.
Warum wir den Ram Muai nicht mehr unterrichten.
Pahuyuth ist eine uralte Kampfkunst, deren Praktizierende im Laufe der Geschichte unterschiedlichsten Bedrohungen begegneten. Zunächst waren es die Chinesen, später die Khmer, dann die Burmesen, die Thai und viele mehr. Jede neue Bedrohung und jede gegnerische Kampfart stellte Pahuyuth vor immer neue Herausforderungen.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, entwickelten die alten Lehrer des Pahuyuth eine Kampfkunst, die ständiges Improvisieren, Anpassen und Überwinden ermöglicht. Dieses Prinzip des dynamischen Lernens und Weitergebens ist das Herzstück des heutigen Pahuyuth-Lehrkonzepts und umfasst das Wissen und die Erfahrungen von über einhundert Generationen. Auch heute noch erlernen Pahuyuth-Schüler das überlieferte Kampfwissen, indem sie es sich aneignen und kritisch hinterfragen.
Alles, was logisch begründbar ist und Bestand hat, wird übernommen und an die nächste Generation weitergegeben. Erfüllt eine Technik oder Tradition diesen Anspruch nicht mehr, wird sie entweder angepasst oder aus dem Lehrplan gestrichen.
Unser Grundsatz lautet:
Folklore allein gewinnt keine Kriege. Die Tradition des Pahuyuth besteht nicht darin, Traditionen um ihrer selbst willen aufrechtzuerhalten, sondern nur dann, wenn sie sich tatsächlich bewährt haben.
Bezüglich des Ram Muai haben uns drei Gründe dazu veranlasst, dieses Ritual aus unserem Lehrplan zu entfernen:
1. Keine Wettkämpfe = Keine Notwendigkeit
Weder das MUAI noch eine der anderen Pahuyuth-Disziplinen beschäftigt sich mit Kampfsport. Zwar steht es allen MUAI-Praktikern jederzeit frei, an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen, doch innerhalb des Pahuyuth gibt es keine Wettkampfförderung oder ähnliches. Die gesamte traditionelle Ausbildung im Pahuyuth zielt vielmehr ausschließlich auf ein unsportliches, unreglementiertes Kämpfen ab.
Der Ram Muay ist daher für Muay Veti (Muay Thai) und das damit verbundene Wettgeschäft sicher von großem Wert. Für uns jedoch gibt es keinen Grund, diese Tradition weiterzuführen.
2. Keine Relevanz für Straßenkampf und Selbstverteidigung
Die Vorstellung, in einer dunklen Gasse Zeit und Gelegenheit für einen rituellen Tanz zu haben, während vom Smartphone traditionelle Musik ertönt und der Aggressor respektvoll das Ende des Tanzes abwartet, ist schlichtweg absurd. Es gibt zudem keinen Grund, die eigene Kampffähigkeit, Herkunft oder Absichten einem Gegner vorab preiszugeben – das gehört eher ins Reich der Kung-Fu-Filme.
Der Ram Muai bietet daher keinerlei praktischen Nutzen für die Selbstverteidigung und ist für uns entsprechend irrelevant.
3. Der Ram Muai war und ist letzten Endes nicht wirklich traditionell
Die Tradition einer festgelegten Choreographie als Ram Muai entstand erst lange nach der Entwicklung des Pahuyuth. Die ursprünglichen Tänze der alten Freikämpfer mit Schwert, Messer, Stock, Schild und Tuch sahen anders aus und basieren – wie heute – auf den Erkenntnissen des Saiyasart.
Fantasienamen wie der „Tanz des Affengottes, der den Ring übergibt“ (Ram Hanuman Tawaii Waen), entlehnt aus der Rammakian-Sage, weisen darauf hin, dass diese Tänze kaum älter als 200 Jahre sein dürften. Das Rammakian, ein bekanntes Theaterstück, wurde unter König Rama II. (1809-1824) erneut ins Thailändische übersetzt und fand dadurch Verbreitung im Volk. Zwar existierten schon früher Übersetzungen des Ramayana-Epos, doch erst diese Fassung erlangte Popularität. Diese Zeit begann nach dem Rückzug der alten Freikämpfer (ab 1782), was auch bedeutet, dass alle Kampfstile, deren Techniken solche Fantasienamen tragen (z.B. Muay Boran und Krabi Krabong), weder wirklich traditionell noch „alte Kriegskampfkünste“ sind.
Da der Ram Muai somit keine echte Tradition darstellt, haben wir keinen Grund, ihn weiterzuführen.
Was daraus folgt
Zukünftige Generationen von MUAI-Freikämpfern werden die bisher überlieferten Ram Muai (siehe oben) nicht mehr erlernen. Ebenfalls aus dem Lehrplan gestrichen wurden Choreographien für Schwerttänze (Ram DAB) und andere Waffengattungen des Pahuyuth.
Rituale, die tatsächlich traditionell sind und einen tieferen Zweck erfüllen – wie der Wai Kru (Lehrergruß), der Wan Wai Kru (Lehrergedenktag) oder der Kämpfereid – bleiben selbstverständlich erhalten. Dies gilt ebenso für rituelle Tanzformen, die auf die uralten Bräuche der Glie-Kämpfer und das Saiyasart zurückgehen.
Das bedeutet, dass Pahuyuth-Freikämpfer auch in Zukunft tanzen und das dafür notwendige Wissen in der Pahuyuth-Schule erlernen können – jedoch auf eine authentischere, traditionellere und zweckmäßigere Weise.