Archivtext: Die Philosophie eines thailändischen Kämpfers
Auf dieser Seite teilen wir einen Archivtext von unserer alten Website aus dem Jahr 1998, der tief in die Philosophie der thailändischen Kampfkultur eintaucht.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Pahuyuth als Kulturgut: Pahuyuth ist ein bedeutendes Kulturerbe, das nicht nur Thailand, sondern eine Vielzahl südostasiatischer Kulturen beeinflusst hat.
- Philosophie des Kampfes: Pahuyuth betont den Schutz des Lebens und die Verteidigung, nicht die Aggression. Es symbolisiert die Balance zwischen Stärke und Menschlichkeit.
- Kulturelle Verwurzelung: Pahuyuth hat seine Ursprünge in vielen Volksgruppen und ist mehr als nur thailändisches Kulturgut – es verkörpert die Werte vieler Generationen von Kämpfern.
Inhaltsverzeichnis
Beitragsdetails
Titel: Archivtext: Die Philosophie eines thailändischen Kämpfers
Autor: Pahuyuth
Schlagwörter: Identitätsverlust, Kampfkunst, Kulturerbe, Menschlichkeit, Pahuyuth, Philosophie, Reinkarnation, Respekt, Schutz, Verteidigung
Die Philosophie eines thailändischen Kämpfers
Es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit für jedermann, die Mentalität und das philosophische Gedankengut der thailändischen Vorfahren mit einem Blick auf die Materie zu erkennen und zu erfassen. Erst bei näherer Betrachtung des historischen Hergangs kann man sich dem Sinn und der Bedeutung behutsam annähern.
Pahuyuth (Sturmkampf) ist und bleibt thailändisches Kulturgut, welches durch die Vorfahren, mühsam und mit Leid erschaffen wurde. Dabei handelt es sich nicht etwa um die eigentliche Erblast, der man mit zwanghafter Hingabe verpflichtet ist, und um deren Nachahmung sich die Nachkommen bemühen sollen. Vielmehr geht es um ein kompaktes Wissen, das seinesgleichen in Bezug auf seine konzeptionelle Reinheit sucht, und dadurch einen unschätzbaren Wert hat entstehen lassen. Dieser Wert hat nicht nur eine rein historische Bedeutung, sondern sollte von seiner Existenz an sich betrachtet werden.
Ein altes thailändisches Sprichwort drückt dies so aus:
„Pahuyuth ist wie das Salz. Nicht der Besitzer, sondern der, der den Geschmack entnehmen kann ist der Nutznießer. „
Seitdem man die Geschichte des thailändischen Volkes historisch nachvollziehen kann ist es belegt, dass der Ursprung bei den Bauern und Fischern liegt. Ihr Leidensweg, der mit den Wanderungen nach Süden, in das heutige Thailand verbunden ist hat gezeigt, dass sie nicht nur kriegerischen Eroberungen und Auseinandersetzungen auf sich selbst gestellt gegenüber standen, sondern das ihre charakteristischen Eigenschaften von Verzicht, Nachgiebigkeit sowie einem ausgeprägten Friedenswillen, sie auf der Suche nach einer neuen Heimat vorangetrieben haben. Insbesondere ihre menschliche Wärme und das Mitgefühl gegenüber ihren Mitmenschen haben sie keinen Krieg oder eigenständige Eroberungen zum Zweck der kolonialen Macht oder der Bereicherung führen lassen.
Man sagt:
“Alles Leben ist kostbar! Warum sollte man es erst verlieren um dies zu begreifen.”
Andererseits sind die Fähigkeiten der Kampfsysteme, die als Mittel zum Schutz von Frieden und Freiheit ihre Anwendung fanden, umstritten. Trotz alledem gab es kaum jemanden, der sich offiziell als ein großer Kämpfer darstellte oder die Thailänder als ein Kämpfervolk betitelte.
Man sagt:
“Die Fähigkeiten des Pahuyuth sind nicht dazu da jemanden zu töten, sondern vielmehr um von einer tödlichen Bedrohung überleben zu können.”
Das bemerkenswerte an erfahrenen Kämpfern und Lehrern der Kampfkunst ist, dass sie im alltäglichen Leben der Gesellschaft bescheiden und zurückgezogen leben. Nur in der Not, oder unter unausweichlichen Umständen wird ihre Existenz überhaupt erst sichtbar.
Allein die Thailänder, mit ihrem ausgeprägten Interesse an diesem Wissensgebiet, sind nicht nur mit der Problematik schier unauffindbarer Lehrerpersönlichkeiten konfrontiert, sondern ebenfalls mit der mühsamen Überzeugungsarbeit um den Lehrer zu einer Unterrichtsbereitschaft zu bewegen.
Man sagt:
“In Ayuttaya gibt es immer einen guten Menschen; doch nicht immer ist er Vorort auch verfügbar.”
Die im Besitz des Wissens befindlichen Lehrerpersönlichkeiten sind überwiegend als Mönch, Dschungelprediger (Rueh Srie) oder als Heiler anstelle eines Kämpfers vorzufinden. Dieses Phänomen erscheint bei anfänglicher Betrachtung durchaus als Schizophren, indem sich widersprüchlich menschliche Wärme im Alltag und konventionelle Härte in ein und derselben Person finden lassen. Doch auch werden alle Schüler des Pahuyuth bestätigen, dass zu keinem Zeitpunkt die Lust zum Kampf oder die Kampffähigkeit zur Selbstverherrlichung und zur Präsentation gelehrt wird. Im Gegenteil, eine der strengsten und diszipliniertesten erzieherischen Gratwanderungen ist die zwischen Vergebung und Durchsetzung, welche Behutsamkeit und Konsequenz erfordert.
Man sagt:
“Eine Kampfentscheidung liegt nicht an der Fähigkeit an sich, sondern ob es unvermeidlich ist. Wenn es unvermeidlich ist, dann soll der Kampf auch mit aller Konsequenz durchgesetzt werden.”
Es ist eine Tatsache, das Pahuyuth eines der am schwersten zu überwindenden Kampfsysteme für Angreifer darstellt. Der Grund dafür ist, dass Pahuyuth von seinen Grundgedanken der Entwicklung nicht vom Kampf ausgeht, sondern von der Notwendigkeit sich zur Wehr zu setzen. So stammen auch die Waffen von einfachen Handwerkzeugen zum täglichen Überleben ab. Dazu kommt, dass eine präzise Kampftechnik ihren Ursprung in der umgekehrten Nutzung aus dem Bereich der Gesundheitspflege hat. Letzten Endes kommt noch die Überzeugung der Reinkarnation und dem nicht endgültigen menschlichen Tod hinzu.
Man sagt:
“Die Fähigkeiten von Pahuyuth stammen vom Boden der Tatsachen ab.”
Pahuyuth ist auch das einzige Kampfsystem in der Welt, bei dem der Kämpfer vor Beginn seiner Kampfhandlungen die zeremonielle Kampfbegrüßung durchführt. Dabei geht es darum Respekt, gegenseitige Achtung, menschliche Wärme sowie Toleranz gegenüber Fremden und Feinden zum Ausdruck zu bringen. Es geht um das Leben und um den Tod, wobei noch die Zeit für eine menschliche Geste übrig ist. Von der Technik her gesehen, zeigt die Begrüßungszeremonie mit ihrer Pantomime die Fähigkeiten und Charaktereigenschaften des Kämpfers, um sich letztlich vor dem Beginn eines aussichtslosen Kampfes noch dagegen entscheiden zu können.
Man sagt:
“Selbst jemanden zu töten ist zwar keine Ehre, jedoch den Tod in einem Sinnlosen Kampf zu finden ist noch weniger.”
Für die Menschen in der Gesellschaft ist es ein natürlicher Prozess, dass sie bei bedrohlichen Auseinandersetzungen oder im Krieg die tapferen Kämpfer suchen und ehren. In Friedenszeiten jedoch weiß man mit ihnen als Last der Gesellschaft nichts anzufangen. Durch die überlieferte Historie hat sich immer wieder bestätigt, dass die eigentliche Tragödie der Kämpfer darin besteht, als ein Mittel der Macht benutzt zu werden.
Entweder ist der Kämpfer selbst das Opfer eines sinnlosen Kampfes geworden, oder ihm blieb die Tür zur Teilnahme an einem normalen gesellschaftlichen Leben aus Furcht vor seinen Fähigkeiten verschlossen. Nachdem die Thailänder ausländische Söldner und moderne Waffengattungen eingesetzt hatten, wurde die Bedeutung der thailändischen Kämpfer deshalb in den Hintergrund gedrückt und sie mussten sich unweigerlich aus dem aktiven Gesellschaftsleben zurückziehen.
Man sagt:
“Das Schicksal eines Kämpfers ist wie bei einer Blume. Sowohl in der Vase als auch im Dschungel ist sie nur für eine gewisse Zeit begehrenswert.”
Seit der Zeit in der die Thais ausländische Söldner für den Kampf um Freiheit und thailändischer Machterhaltung erfolgreich eingesetzt hatten, begannen sie gleichzeitig auch ihre Selbstüberzeugung zu verändern. Im Verlauf der Zeit bewerteten sie alles was aus der Fremde kam höher als ihre eigenen Dinge, wobei dies nicht nur allein das Kampfwissen betraf. Auch das Gedankengut, bzw. das thailändische Ideal von der Akzeptanz des menschlichen Individuums und die Gestaltung ihrer Gesellschaftsformen, haben in Bezug auf die thailändische Kultur einen bedrohlichen Verlust erlitten.
Der Anreiz und das Streben eine internationale Nation zu sein sind so groß geworden, dass die thailändische Genügsamkeit die auf Konsum orientierten Charaktereigenschaften kaum überstehen kann.
Die Gastfreundschaft und die wachsende Weltoffenheit haben dazu geführt, dass die Thailänder bereit sind ihre thailändischen Lebensgewohnheiten aufzugeben, und in Bezug auf ihre geographische Lage fremde Gewohnheiten angenommen haben.
Momentan befinden sich die Thailänder noch im Überwindungsprozeß. Dabei treffen sie die Unterscheidung bezüglich des Preises ihrer gesellschaftlichen Entwicklung, der ohne Aufmerksamkeit und Augenmaß auf Kosten ihrer Identität enden kann.
Allein jetzt schon tun sich die Thailänder schwer zu akzeptieren, dass ihr Kulturgut einer allmählichen Verfremdung unterliegt, für die sie selbst die Verantwortung tragen. Erst wenn sie Anerkennung für ihr Kulturgut von Fremden erhalten, fühlen sie sich stolz und geehrt, wobei sie hintergründig die Erschaffung ihres Erbes minder bewerten.
Genauso gut könnten sie es als Genugtuung oder zumindest als moralische Befriedigung empfinden, wenn die Welt an den Werten ihres Kulturerbes teilhaben könnte, und ihnen die alleinige Erbschaft überlassen bliebe.
Die Tatsachen belegen jedoch die groteske Gegensätzlichkeit, dass thailändische Wissensbereiche und auch die Kultur, wie zum Beispiel die thailändische Kampfkunst, bereits auf institutioneller Ebene durch Fremde mehr gefördert und gepflegt werden, als dies im eigenen Land der Fall ist. Dies lässt sehr zu wünschen übrig!
Es ist eine durchaus absehbare Entwicklung und realistische Einschätzung, dass die thailändischen Nachkommen sich aus der Fremde über ihr Kulturgut informieren dürfen.
Man sagt:
“Es ist eine Ironie des Schicksals der Menschen, dass sie erst verlieren müssen was sie haben, um zu begreifen was sie hatten.”
Selbstverständlich kann diese Behauptung nicht für alle Thailänder zutreffen, denn ansonsten wären die thailändischen Kampfsysteme heute schon nicht mehr existent. Jedoch kann eines mit Sicherheit gesagt werden, nämlich das alle Thailänder sehr stolz auf ihre Heimat und ihr Kulturerbe sind. Nur hat letztendlich jeder einzelne nach seinen Möglichkeiten und Wertschätzungen einen anderen Umgang mit diesem Kulturerbe. Darüber hinaus hat jeder ein eigenes Maß an Initiative um sich diesem authentischen Erbe zu nähern, bzw. es zu interpretieren.
von Plaitamin
24.10.2000
Ergänzung des Autors vom 10.10.2021
Die Aussage „Pahuyuth (Sturmkampf) ist und bleibt thailändisches Kulturgut“ sollte genauer betrachtet werden. Nach verschiedenen Überlieferungen aus dem alten asiatischen und südostasiatischen Raum wird übereinstimmend berichtet, dass Pahuyuth schon vor der Gründung Thailands existierte. Auch europäische und chinesische Quellen erwähnen es unter den Begriffen „Siam“ oder in Verbindung mit den verschiedenen Volksgruppen, die unter der Herrschaft der Stadt Ayutthaya standen.
Der Entwicklungsweg von Pahuyuth, der durch unterschiedliche Erlebnisse und Erfahrungen geprägt wurde – begleitet von Erfolgen ebenso wie von Leid –, führte schließlich zum heutigen Pahuyuth. Es ist daher nur logisch, dass die Entstehung von Pahuyuth eigentlich durch verschiedene Volksgruppen und unzählige nachfolgende Generationen mitgestaltet wurde. Deshalb ist es nicht ganz korrekt, es ausschließlich als thailändisches Kulturgut zu bezeichnen.
Es ist jedoch belegt, dass die zuletzt überlieferte Form des Pahuyuth von einer gelehrten Persönlichkeit aus dem heutigen Thailand stammt. Daher ist es vielerorts als thailändisches Kulturgut bekannt bzw. wird allgemein so definiert.
von Plaitamin
10.10.2021
Fazit
Der Archivtext „Die Philosophie eines thailändischen Kämpfers“ zeigt, dass Pahuyuth als eine facettenreiche Kampfkunst tief in der Geschichte und Kultur Südostasiens verwurzelt ist. Es hat nicht nur eine historische Bedeutung, sondern auch eine kulturelle, die das Bewusstsein für Werte wie Toleranz, Menschlichkeit und Respekt schärft. Der Werdegang dieser Kampfkunst war von den Erfahrungen vieler Generationen geprägt und überschreitet die Grenzen eines einzelnen Landes. Während Pahuyuth heute als thailändisches Kulturgut betrachtet wird, sind seine Ursprünge weitreichender, geprägt durch die Einflüsse verschiedenster Volksgruppen. Diese komplexe Entwicklung unterstreicht die Bedeutung von Pahuyuth als Wissensschatz, der nicht nur zum Schutz dient, sondern auch die Philosophie des Lebens widerspiegelt – die Balance zwischen Stärke und Mitgefühl, zwischen Kampf und Frieden.