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Wai Kru – die traditionelle Lehrerbegrüßung
Wissen ist kostbar. Ein Wissen, das dabei hilft die körperliche Unversehrtheit und das Überleben zu bewahren, ist für jene die es brauchen von unschätzbarem Wert.
Einem lebendem Lehrer für die Vermittlung von Kampfkunstwissen zu danken ist leicht. Man geht zu ihm oder ihr hin und sagt einfach: „Danke!“. Wesentlich schwieriger hingegen ist es jenen Wissensvermittlern zu danken, die bereits verstorben, nicht erreichbar oder nicht persönlich bekannt sind.
Die alten Pahuyuth Lehrer haben zu diesem Zweck ein nichtreligiöses Ritual bzw. eine Geste namens „Wai Kru“ bzw. „Lehrerbegrüßung“ oder „Lehrergruß“ entwickelt. Dieses Ritual wird im Rahmen der traditionellen Kampfkunstvermittlung des Pahuyuth bis zum heutigen Tage gelehrt und praktiziert.
Die Fähigkeit den Lehrergruß durchzuführen, seine Herkunft und seine Bedeutung zu erklären ist eine der Vorraussetzungen, um den Pahuyuth Schülerstatus (Grüngurt) zu erhalten.
Der Lehrergruß wird üblicherweise nach jedem Training und im Rahmen des Lehrergedenktages ausgeführt. Einige traditionelle Tänze (Ram Muai, Ram Dab, etc.) beinhalten ebenfalls Elemente aus der Lehrerbegrüßung.
Ein Gruß und Dank an die Lehrer – mehr als nur eine Tradition.
Durchführung
Die traditionelle Lehrerbegrüßung wird im Sitzen ausgeführt. Der Dank des Schülers wird für gewöhnlich mit vier Bewegungen zum Ausdruck gebracht:
Hände zum Boden
Die erste Bewegung gilt dem Schöpfer. Dies kann jedwede Form von Gottheit aber auch eine beliebige andere Instanz wie z.B. Naturgesetze sein.
1. Gruß
Der erste Gruß gilt den eigenen Eltern, die einem das Leben geschenkt haben, denn ohne sie wäre man nicht auf der Welt.
2. Gruß
Der zweite Gruß gilt den Lehrern der Vergangenheit. All jenen die dieses Wissen weitergegeben haben.
3. Gruß
Der dritte Gruß gilt den Kriegern der Vergangenheit, die für dieses Wissen gestorben sind.
Unterschiede zur Thailändischen Kultur
In der Thailändischen Kultur genießen Lehrer einen besonderen Stellenwert. Im alten Siam konnte Bildung für alle Menschen außerhalb der königlichen Familie fast nur im Kloster erworben werden. Dort waren Mönche Lehrer und Respektspersonen zugleich. Daraus entstand eine hierarchische Kultur und Gesellschaftsform in der derjenige der über Wissen verfügt als höhergestellt betrachtet und demzufolge verehrt wird.
Die Kultur der Pahuyuth Freikämpfer hingegen entstand aus der Auflehnung gegen Unterdrückung und Sklaverei. Im Verständnis des Pahuyuth sind deshalb alle Menschen gleich und niemand hat das Recht sich über andere zu stellen.
Ein Lehrer im Verständnis des Pahuyuth ist daher niemals ein „Meister“ oder „Herrscher“ über seine Schüler, sondern immer nur ein einfacher aber erfahrener Kämpfer und Mensch der sein Wissen bereitwillig und stets mit einem empfehlenden Charakter teilt. Aus diesem Grund wird der traditionelle Wai Kru (Lehrergruß) auch niemals gegenüber einem lebenden Lehrer ausgeführt.
Da das Pahuyuth bereits vor dem heutigen Thailand und vor dem damaligen Siam existiert hat, ist anzunehmen, dass der traditionelle Lehrergruß aus dem Pahuyuth bzw. Saiyasart entlehnt und abgewandelt wurde.
Knie zusammen oder auseinander?
Wie man im oben verlinkten Video sehen kann, wird der Pahuyuth Lehrergruß stets breitbeinig sitzend ausgeführt. Diese Position basiert einerseits auf der unterschwelligen Vermittlung von Kampfwissen (siehe weiter unten) und zum anderen auf der bereits im Kämpfereid gelehrten V-Position der Füße, die für Gleichheit unter Menschen steht.
Der schulterbreite Stand mit den Händen auf dem Rücken (am Ende des Rituals) ist wiederum ein Symbol für die gelebte Freiheit, Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit eines jeden Pahuyuth Freikämpfers.
Einen Lehrergruß in dieser Form auszuführen galt und gilt in in der hierarchisch geprägten Kultur Thailands als Affront, weil dies einen Mangel an Fügsamkeit, Demut und Unterwürfigkeit darstellt. Beim thailändischen Wai Khru und insbesondere am Königshof wird dieses Ritual daher stets mit geschlossenen Beinen und größtmöglicher Demut ausgeführt.
Die Weigerung der Freikämpfer den Wai Kru mit geschlossenen Beinen auszuführen ist in der Vergangenheit mehr als einmal Anlass gewesen, um sie zum Ziel von sozialen, politischen und religiösen Verfolgungen zu machen.
Aus dem Kämpfereid: „Wir nehmen die Füße zu einem V, als Zeichen dafür, dass wir alle gleich sind ..“ – die breitbeinige Sitzposition beim Pahuyuth Lehrergruß war, ist und bleibt ein Akt der Rebellion.
Warum wir diese Tradition bewahren
„Wer seinen Lehrern dankt, soll hierfür auch etwas erhalten.“ – so oder so ähnlich dürften die alten Pahuyuth Lehrer wohl gedacht haben, als sie den Lehrergruß entwickelt haben.
Tatsächlich haben sie in den einzelnen Bewegungen der Lehrerbegrüßung diverse Kampftechniken und Konzepte versteckt, die mit jeder einzelnen Durchführung dieses Grußes automatisch geübt werden. Für Angehörige des Pahuyuth, die in der Lage sind diese Hinweise zu entschlüsseln, ist die Lehrerbegrüßung deshalb weit mehr als eine Tradition die nur der Tradition halber bewahrt wird.
Hier drei einfache Beispiele für versteckte Hinweise der alten Lehrer:
Die traditionelle Lehrerbegrüßung birgt viele Geheimnisse
Dreiecksprinzip
Die Lehrerbegrüßung wird in der Regel kniend ausgeführt, wobei die beiden Knie und die zusammengestellten Füße ein gleichschenkliges Dreieck ergeben. Drei Punkte sind mindestens notwendig um eine geometrische Fläche zu erzeugen und so einen stabilen Stand herbeizuführen. Wie sicher man dank dieser Fläche sitzt, kann man testen, indem man sich in dieser Position nach vorne, zu den Seiten oder nach hinten neigt.
Anwendung findet dieses Prinzip zum Beispiel bei Knietechniken im Clinch. Die beiden Füße des Gegners und das eigene Standbein ergeben dabei eine stabile Unterstützungsfläche.
Drei Punkte sind notwendig um eine stabile Fläche zu bilden.
Knie am Boden
Die Auflagefläche der beiden Knie bei der Lehrerbegrüßung, verrät wo genau sich die härteste Stelle des menschlichen Knies befindet.
Eine Abwehr mit diesem Bereich (zum Beispiel gegen Schienbein-Kicks) ist für den Anwender in der Regel besonders sicher.
Knieangriffe mit dieser Stelle sind wiederum besonders verheerend.
Das gleiche gilt für Angriffe mit dieser Zone
4/5 Armstreckung
Bei korrekter Ausführung werden die beiden Ellenbögen bei der Lehrerbegrüßung nicht mehr als bis zu 4/5 gestreckt.
Bei Faustschlägen ist dies im Regelfall die maximale effektive Reichweite. Schläge bei denen der Arm weiter als bis zu diesem Bereich gestreckt wird, übertragen wesentlich weniger Kraft (F) auf das Zielobjekt.
Im Pahuyuth wird ein komplettes Ausstrecken des Armes grundsätzlich vermieden, um das Ellenbogengelenk nicht durch die beim Angriff entstehenden Kräfte zu beschädigen.
Die optimale Schlagposition wird mit einer 4/5 Streckung erzielt.
Weitere Prinzipien
Oben genannte Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs und keinesfalls eine abschließende Aufzählung. Es gibt noch wesentlich mehr solcher versteckten Hinweise und Prinzipien, die die alten Lehrer uns hinterlassen haben. Pahuyuth Schüler erlernen und entdecken diese Hinweise im Rahmen ihrer Ausbildung. Sie bereichern sich selbst damit und bedanken sich bei ihren Lehrern für das übermittelte Wissen mit der traditionellen Lehrerbegrüßung.