Inhalt
Muay Thai und Olympia?
Autor: Plaitamin
Erstveröffentlichungsdatum: 2000 n. Chr.
Datum der Neuveröffentlichung: 18.02.2022
Redaktioneller Hinweis: Auf dieser Seite teilen wir einen Archivtext, der im Jahr 2000 n. Chr. (kurz vor den Olympischen Sommerspielen in Sydney) verfasst und auf unserer alten Website veröffentlicht wurde. Heute, im Jahr 2022, stellen wir diesen Text erneut und ungekürzt in unserem Blog ein. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurden einige wenige Begriffe verändert und inhaltliche Ergänzungen vorgenommen.
Erweiterter Kontext: Im Jahr 2021, also gut zwanzig Jahre nach Veröffentlichung dieses Artikels, hat das IOC im Rahmen der der 138. IOC-Sitzung in Tokyo insgesamt sechs Weltverbände (für Sambo, Muay Thai, Kickboxing aber auch Cheerleading) vollumfänglich anerkannt. Jene Verbände können nun Anträge stellen, um bei den nächsten Olympischen Spielen in Paris 2024 mit ihren Sportarten Teil des Wettkampfprogramms zu werden. Ob sich daraus jedoch eine Olympisierung des Muay Thai ergibt ist noch offen. So wurde das chinesische Wushu beispielsweise nicht vom IOC für die Olympischen Sommerspiele von Tokyo (2020) nominiert. Mit der Frage, ob Muay Thai in einem olympischen Umfeld überhaupt noch als Muay Thai klassifizierbar ist, beschäftigt sich der nachfolgende Archivtext.
Archivtext: Muay Thai und Olympia
In der gegenwärtigen Situation, kurz vor den olympischen Spielen, setzt man sich national und auch international in Form einer Diskussionsrunde damit auseinander, ob Muay Thai in der Zukunft olympische Disziplin werden soll oder nicht.
Aus den unzähligen Kriterien für ein Pro und Kontra, die aus jeweils unterschiedlichen Interessen und Erwartungen heraus entstanden sind, lassen sich im Wesentlichen drei große Gruppen unterscheiden: die kulturelle Bedeutung, die olympische Idee und der wirtschaftliche Faktor.
Die kulturelle Bedeutung
Das ursprüngliche Muay Thai, welches sich aus der traditionellen Kampfkunst (siehe MUAI, LING LOM, PAHUYUTH), im Verlauf der Zeit zu einer nationalen Kampfsportart entwickelt hat, weißt immer noch seine einzigartige, charakteristische und kulturelle Prägung mit ihren dazugehörigen zeremoniellen Ritualen als Besonderheit auf.
Rituale
Der Sportkampf Muay Thai wird auch heute noch durch ein Ritual (siehe Wai Khru Ram Muay) bestehend aus einer traditionellen Begrüßungszeremonie für den Kampf, begleitet durch exotische Klanginstrumente, in der Form eines pantomimischen Tanzes vor dem eigentlichen Kampfbeginn eröffnet. Zum einen dient dies dem Ausdruck von Achtung und Respekt vor dem menschlichen Leben und der Existenz einer Gottheit, sowohl der eigenen als auch der des vermeintlichen Gegners. Zum anderen ist die Kampfbegrüßung auch ein direkter Hinweis dafür, dass das bevorstehende Kampfgeschehen die Beteiligung der Zuschauer miteinschließt. Dabei geht es insbesondere auch um die Klarstellung der Kampfziele, denn obgleich beide Kämpfer mit tödlichen Techniken ausgestattet sind, geht es darum in keinem Fall.
Magische Gegenstände
Muay Thai Kämpfer tragen typische Gegenstände bei sich (siehe Mongkon, Prejat und Pomalai), die sie an magische Kräfte, bzw. eine Art Schutzeigenschaft glauben lassen, um im bevorstehenden Kampf erfolgreich zu sein und ihn unbeschadet zu überstehen. Die Begleitung durch die Musikinstrumente während des Kampfes gehört eigentlich nicht zum traditionell üblichen Ablauf. Die Musik passt sich entweder an die vorherrschende Kampfsituation an, oder versucht den Kampf durch schnellere Rhythmen zu animieren. Die Hose eines Muay Thai Kämpfers ist traditionell mit einem Abzeichen versehen, welches den eigenen Namen als Kämpfer, bzw. den des Lehrers oder des Instituts an dem der Kämpfer sein Wissen und seine Fähigkeiten erworben hat, trägt.
Der Kampf
Während des Kampfes versuchen nun beide Kämpfer mittels ihrer beherrschten Kampffähigkeiten die Ziele des Gegners in Form von Angriff und Verteidigung zu überbieten. Zusätzlich werden sie mit einer oder mehreren Taktiken ihre spezialisierte Kampfmethode einsetzen. Im Vergleich ist dies wie beim Schachspiel, bei dem beide Spieler nur durch Taktik erfolgreich sein können. Die Beliebtheit des nationalen Kampfsportes Muay Thai ergibt sich aus der Technik und dem taktischen Einsatz während der Kampfhandlung. Der Ausgang des Kampfes ist dabei jedoch keinesfalls als eine Angabe über die tatsächliche Qualifikation des Kämpfers zu sehen, sondern lediglich als das Ergebnis seiner momentanen Taktik und seines Einsatzes bei dieser Begegnung.
Das Wettgeschäft des Muay Thai
Insbesondere bei Muay Thai Kampfsportveranstaltungen gehört die passive Beteiligung der Zuschauer durch Wetten ebenso zum Ablauf des Kampfes, wie der Einsatz der Kämpfer selbst. Das Wetten wird während des Kampfes unter den Zuschauern ausgetragen, wobei das Wettziel und die jeweilige Variante sich ständig verändern, so dass dies sogar unabhängig von dem eigentlichen Ausgang des Kampfes sein kann. Muay Thai Kämpfe ohne den traditionellen Bestandteil des Wettens zu veranstalten wäre zwar möglich, jedoch würde dies gleichzeitig auch den Verlust der Originalität bedeuten.
Verletzungen und Folgeschäden
Für den Kampfsport Muay Thai ist es als Selbstverständlich anzusehen, dass eine Kampfpaarung mit eventuellen Verletzungen verbunden ist, die jedoch kaum zu schwerwiegenden Folgeschäden für die Kämpfer führen. Nur durch leichtfertige Experimente oder ein abnormes Kampfverhalten in Form von Überheblichkeit, oder sehr ungleichen Kampfpaarungen, bzw. dem Kampf mit fremden Kampfarten können größere Verletzungen resultieren. Dies war unter anderem auch ein Grund dafür, dass aus der gewonnenen Erfahrung aus internationaler Beteiligung eine neuartige Kampfsportart entstand, die jedoch sehr weit von ihrem Ursprung entfernt liegt (siehe Muay Farang).
Muay Thai als nationales Kulturgut
Der Anspruch der Thailänder auf den Kampfsport Muay Thai, welcher in Teil ihres kulturellen Erbes ist, ist zumindest aus der Tatsache der Charaktereigenschaften und des historischen Hergangs mehr als Gerechtfertigt. Im Gegensatz dazu kann die abenteuerliche Behauptung das Muay Thai ein internationales Welterbe ist, in keiner Weise zutreffen.
Muay Thai als olympische Disziplin zu befürworten bedeutet gleichzeitig auch mit einer Umwandlung oder Veränderung zu rechnen, die in jeder Hinsicht von ihrem eigentlichen Original abweicht. Dabei geht es eigentlich nur um die Bereitschaft der Thailänder selbst, sich für eine solche Idee und die damit verbundene Zerstörung des Kulturgutes zu entscheiden oder nicht. Andererseits wäre das Verständnis der internationalen Gemeinschaft enorm gefragt, wenn Muay Thai in seiner Gesamtheit akzeptiert würde, und dadurch das thailändische Kulturerbe nicht zu verletzen und die Teilnahme dennoch zu ermöglichen.
Die olympische Idee
Der Grundgedanke der olympischen Spiele ist eine internationale Beteiligung an einem Spiel mit festgelegtem Regelwerk, mit dem Ziel der Völkerverständigung und der freundschaftlichen Verbindungen auf sportlicher Ebene. Die ersten olympischen Spiele wurden im Jahre 1896 in Athen ausgetragen, von wo auch heute noch die kulturellen Eigenheiten und Rituale der alle vier Jahre stattfindenden Spiele zu finden sind.
Obwohl die olympischen Spiele sich zum Teil auch aus der griechischen Geschichte ableiten, so ist davon heutzutage, eben durch die neue Formierung und das hinzugekommene Regelwerk, nichts mehr zu spüren. Andere Kampfsportdisziplinen die bei den olympischen Spielen vertreten sind, wie beispielsweise Boxen oder Fechten, sind besonders durch ihre Schutzkleidung gegen Verletzungen während des Wettbewerbs gesichert, um letztlich auch den olympischen Gedanken zu wahren. Trotz der Bemühungen des olympischen Komitees, blieb bislang das Risiko unbeabsichtigter Reaktionen der Sportler (Fehlverhalten), oder der technischen Probleme, von denen mehr als genug vorhanden sind, erhalten, und es kam zu schweren und sogar tödlichen Verletzungen bei den Spielen.
Ist Muay Thai mit dem Olympischen Gedanken überhaupt vereinbar?
Für Muay Thai Kampfsportveranstaltungen im gegenwärtigen Alltag ist das Risiko von Sportunfällen gegenwärtig. Aufgrund der Besonderheit des Muay Thai ist bis zum heutigen Tag kein allgemeingültiges Regelwerk erlassen worden. Im Jahre 1934 n. Chr. (2477 B.E.) hat das thailändische Sportamt lediglich Richtlinien für den Kampfsport Muay Thai ausgearbeitet, und diese am 01. April 1937 n. Chr. (2480 B.E.) veröffentlicht.
Die diesbezügliche Problematik für den Kampfsport Muay Thai besteht im Wesentlichen daraus, dass es keinen eindeutigen Sportcharakter gibt, den man durch einheitliche Regeln festlegen könnte. Allein der immer noch unklare Bereich der Zuständigkeit, der zwischen Sport und Kultur, bzw. Kunst liegt, lässt die moderne Verwaltung keine eindeutige Zuständigkeit finden. Lediglich im Bereich der thailändischen Universitäten und durch die aufgestellten Richtlinien ist Muay Thai im sportlichen Bereich eingegliedert, und im Rahmen einer landesweiten Zuständigkeit wird Muay Thai dennoch einer sportlichen Disziplin zugeordnet. Grundsätzlich lässt sich der Kampfsport Muay Thai nicht als eine sportliche Disziplin bei den olympischen Spielen eingliedern.
Amateursport versus Profisport
Die Kampfregeln des Muay Thai existieren ausschließlich für den professionellen Bereich, wobei die einzelnen Veranstalter, bzw. Stadien diese selbst aufgestellt oder gegenseitig übernommen haben. Die am häufigsten angewendeten Kampfregeln stammen von den zwei populärsten Stadien (Rajadamnern, und dem Militärstadium Lumpinee), die das Regelwerk auch anderen Verbänden und Organisationen zur Verfügung stellen. Im internationalen Bereich haben die Muay Thai Verbände und Organisationen jedoch ihre eigenen Regeln, welche eingeschränkt sind und auf ein anderes Kampfziel abzielen, wodurch in einigen Fällen der Ursprung des Muay Thai nicht mehr erkennbar ist. Ein einheitliches Regelwerk für das Muay Thai bei den olympischen Spielen zu erlassen, dürfte sich als eine unüberwindbare Aufgabe erweisen.
Der Verlust der Authentizität
Als erstes dürfte die traditionelle Kampfbegrüßung des Sportkampfes Muay Thai für die olympischen Spiele keinerlei Bedeutung haben. Da diese Zeremonie in keinem Zusammenhang mit den Leistungsbezogenen Wettbewerben steht, ergibt sich auch kein unmittelbarer Einfluss auf die Kampfentscheidung. Dadurch wäre die traditionelle Kampfbegrüßung bei sportlichen Wettkämpfen nicht mehr als Bestandteil enthalten, und eine negative Veränderung in Bezug auf das ursprüngliche Muay Thai würde sich ergeben.
Bei den olympischen Spielen wird weiterhin sehr viel Wert darauf gelegt, dass in allen Kampfsportdisziplinen (Boxen, Fechten…) die entsprechenden Schutzausrüstungen für die Sportler verpflichtend sind. So wie beim Boxen, wo beide Kontrahenten mit entsprechenden Boxhandschuhen ausgestattet sind.
Ist Muay Thai mit Schutzausrüstung noch Muay Thai?
Für den Kampfsport Muay Thai müssten die Sportler dann jedoch zusätzlich mit Ellenbogenschützern, Knieschützern, Fußschützern und Schienbeinschützern ausgestattet werden. Die bereits entwickelten Fuß- und Schienbeinschützer weisen zwar die notwendige Schutzwirkung auf, jedoch schränken sie den Bewegungsfreiraum der Sportler ein. Bei den Knie und Ellenbogenschützern hat man hingegen lediglich Varianten, die als persönlicher Schutz dienen, und für den tatsächlichen Einsatz alles andere als brauchbar sind. Allein die Ausführung präziser Techniken mit den Elementen Ellenbogen und Knie lässt eine Schutzausrüstung nicht zu. Der beste Schutz für beide Sportler wäre immer noch, wenn auf die Elemente Ellenbogen und Knie verzichtet würde, wobei der Kampfsport nicht mehr als Muay Thai zu bezeichnen wäre.
In weiterem Vergleich mit der Disziplin Boxen, lassen sich Kampfregeln bezüglich des Gewichtes und der Form der Boxhandschuhe, der Gewichtsklassen, der Kampfrunden, der Begleitmusik sowie der Bewertung von Fouls nicht mit dem Muay Thai vergleichen. Dadurch wird deutlich, dass die Kampfregeln des Kampfsportes Muay Thai in der jetzigen Form unmöglich für die olympischen Spiele zu nutzen sind.
Der wirtschaftliche Faktor
Das Interesse zur Integration von Muay Thai bei den olympischen Spielen ist auch aus einem wirtschaftlichen Grund für Thailand vorangetrieben worden, wobei natürlich bei allen Beteiligten die Wünsche im gleichen Maße bestehen.
Zwischen Kulturerbe und wirtschaftlichen Interessen
Der Schritt Muay Thai zur olympischen Disziplin zu machen würde nicht nur die Austragung internationaler Veranstaltungen ermöglichen, sondern auch die wirtschaftliche Bedeutung würde sich zwangsläufig entwickeln. Letztlich stellt sich dabei nur die Frage, inwieweit die Thailänder selbst bereit sind, ihr Kulturerbe zugunsten eventueller wirtschaftlicher Erfolge zu verlieren.
Ein Muay Thai ohne thailändische Beteiligung?
Die bisherigen internationalen Erfahrungen haben gezeigt, dass allein durch die bestehenden Gewichtsunterschiede eine Beteiligung von Thailändern unbedeutend ist. Entweder nahmen die thailändischen Kämpfer unter der Bedingung einer Gewichtseinschränkung oder einer technischen Einschränkung teil, oder gar nicht. So findet die Mehrzahl der Wettkampfveranstaltungen ohne thailändische Beteiligung, und schon gar nicht in Thailand selbst statt, obgleich fast alle bedeutenden ausländischen Organisationen und Verbände von den Thailändern gegründet und anerkannt werden. Rein wirtschaftlich gesehen, hat Thailand von den Veranstaltungen dieser Verbände kaum etwas. Als Folge dieser wirtschaftlichen Initiative sind unzählige Muay Thai Varianten auf internationaler Ebene entstanden (siehe Muay Farang), die mit dem Ursprung nichts mehr zu tun haben und für die Thailänder befremdlich wirken, denn lediglich der Name ist der gleiche.
Wie ließe sich das Muay Thai bewahren?
Es ist unumstritten, dass die internationale Verbreitung von Muay Thai sowohl zur kulturellen Pflege als auch zur Wirtschaftlichkeit Thailands beiträgt, sofern die vollständige originale Form mit der Bezeichnung Muay Thai in Verbindung gebracht wird. Das Gleiche gilt ebenso für die bei Kampfsportveranstaltungen benutzten thailändischen Kampfregeln, wobei die Kämpfe eigentlich nur in Thailand stattfinden sollten, sofern diese Regeln international nicht als Maßstab genommen würden.
Doch auch von Thailand, bzw. den Gründern der verschiedenen Organisationen ist dringend Initiative und Motivation gefordert, sich für die Bewahrung des thailändischen Kulturerbes von der internationalen Verfälschung des Muay Thai zu distanzieren, bzw. die Unrichtigkeit zu korrigieren. Dazu gehört unter anderem die Richtigstellung, die Bezeichnung Muay Thai tatsächlich auch nur nach erfolgter Anerkennung, bzw. Prüfung in Thailand unter thailändischen Bedingungen zu vergeben, da es sich dabei um die direkte Verbreitung von thailändischem Wissen und thailändischer Kultur handelt.
Vermeintliche Nebengeschäfte
Die typische Bekleidung und die dazugehörige Ausrüstung bei den olympischen Spielen bildet einen der wichtigsten Wirtschaftsbereiche für das Herstellerland. Der jetzige Kampfsport Muay Thai hat jedoch nur eine sehr spärliche Bekleidung und Ausrüstung aufzuweisen, so dass für die thailändischen Hersteller kaum ein profitables Geschäft zu erwarten wäre. Hinzu kommt noch, dass bei internationaler Beteiligung und einer eventuell hinzukommenden Ausrüstung für die olympischen Spiele, die Herstellerauswahl alles andere als auf Thailand fallen würde, und somit auch keine wirtschaftlich profitable Perspektive entsteht.
Ergo: Nur dadurch, dass Muay Thai als einzigartiges und besonderes thailändisches System auf dem internationalen Markt besteht, kann daraus auch eine wirtschaftliche Bedeutung erwachsen.
Fazit
Die olympische Idee spiegelt für das Muay Thai eine Möglichkeit wieder, zu internationaler Anerkennung zu gelangen, jedoch gleichzeitig ist damit auch der Verlust des thailändischen Kulturerbes verbunden. Doch vielleicht gehört es ja zur menschlichen Normalität, dass auch die Thai erst verlieren müssen was sie haben, um zu begreifen was sie hatten.